Wie war es damals? Fredi Fichmann erinnert sich (April 2024)

Als ich im Jahr 2021 während der Pandemie mit dem SRF Kontakt aufnahm, wurde ich an den Turi Treff weitergeleitet. Mit Erstaunen stellte ich fest, dass dort niemand mehr lebte, um die alten Zeiten im Bellerive wieder aufleben zu lassen. Damit diese nicht ganz in Vergessenheit geraten, möchte ich einige, kuriose Geschichten aus dem damaligen Studio Bellerive hier niederschreiben. Die Geschichten sind nach 65 Jahren aus meiner Erinnerung geschrieben und können nicht mehr verifiziert werden.

Damals

Angefangen hatte ich 1958 im Studio als Bildoperateur. Kollegen von damals waren Walti Suter, Fredi Jung, Röteli, Koch und in der Technik Schlatter, Härri, und Setz. Als Operateurin war auch Pia Schellenberg dabei. In der Regie hatten wir Walter Plüss, Ettore Cella, und im Ablauf Max Sieber. Frauen kamen nur als Hilfskräfte vor, als Telefonistinnen, Cutterinnen, Maskenbildnerinnen oder Sekretärinnen. In den sechziger Jahren kamen dann Tizia Mona und Lore Wyss in die Redaktionen. Unter Kollegen sprachen wir uns noch per Sie an, in den USA wurde mir das aber schon am ersten Tag ausgetrieben.

Erster Kontakt

Während der Pandemie wollte mir Günther Kaiser das Swisscom Museum mit dem alten Ü-Wagen in Bern zeigen, doch drei Tage vor dem Treffen verstarb er. Mit Walti Suter konnte ich mich noch telefonisch über eine Stunde lang unterhalten. Wir sprachen über das im Jahre 1962 abgesagte Lauberhornrennen, da es damals keinen Schnee in Wengen gab. Ein Riesenslalom auf dem Eiger Gletscher wurde als Ersatz durchgeführt. Wir mussten die gesamte Technik mit Schlitten und Bahn dorthin transportieren. Walti erzählte mir, dass bei der Probe ein Sturm aufkam, und die schwere Kamerakiste davonflog. Ich sei danach auf das Podest gestiegen und habe ihn mit einem Seil gesichert. Nach dem Skirennen blieben Walti und ich mit nur einer Kamera im Hotel Scheidegg. In der Spinne an der Eiger Nordwand hingen zwei Alpinisten und wir mussten das bittere Ende dokumentieren. Heute weiß das niemand mehr. Auch über seine Teilnahme an der „Haute Route“ erzählte er mir von Max Chopard (Nationalrat), der unbedingt als Tönler mitwollte. Die Bergführer schleppten dann eine Woche lang seinen Rucksack sowie das Tonbandgerät. Die nächsten Anrufe an Walti wurden nicht mehr beantwortet und ich dachte an das schlimmste. Eine Anfrage beim Einwohneramt blieb aus Datenschutzgründen unbeantwortet. Im Google fand ich eine Trauerfeier-an seiner Adresse, aber das Datum war noch vor unserem Gespräch. Ein weiteres Mail an das Einwohneramt, dass ich mich an die Polizei wenden werde, half. Kurz bevor ich verzweifelte, kam ein Anruf von seinem Sohn, der meine Befürchtung, Walti sei inzwischen verstorben, bestätigte. Das Inserat auf Google hatte eine nahe Verwandte betroffen.

Die Technik

Meine erste Aufgabe war die Überwachung der Übertragung eines Bildes von Präsident Kennedy. In der Tagesschau gab es einen Drucker mit einem Kohlestift. Es dauerte 20 Minuten, bis das ganze Schwarz-Weiß-Bild da war. Eine MAZ gab es damals noch nicht, und die Tagesschau musste fürs Archiv von einem Bildschirm mit zwei Filmkameras aufgenommen werden. Die 120m Filme waren nur auf einem offenen Kern aufgespult und mussten im Dunkeln in der Kassette ausgewechselt werden. Die Spule fiel auf den Boden, und wir versuchten über eine Stunde im Dunkeln, den Film auf den Kern zu wickeln. Es tut mir leid, dieser Tag fehlt nun im Archiv. Da gab es ein Zimmer mit dem Taktgeber, da wurde in einem großen Kasten die Zeilenfrequenz auf die Bildfrequenz geteilt. Es brauchte etwa 12 Röhrenpaare, die ich austauschen sollte. Statt die Röhren einzeln zu testen, wechselte ich einfach alle 24 Röhren. Danach funktionierte der Taktgeber gar nicht mehr. Zum Glück war ein zweiter Kasten installiert, der den Bildtackt sofort übernehmen konnte. Zwanzig Jahre später, in jeder Digitaluhr war ein solcher Teiler auf 4 mal 4 Millimeter verbaut.

Die Bibel

Wie wurde damals die Schweiz regiert? Für mich als junger Mann war es die Heilige Dreifaltigkeit: das Militär, die Kirche und die FDP. Die NZZ war für die Direktion jeden Morgen Pflicht.

Das Studio

Werbung war verboten, dafür zahlten die Verlage eine Million für das Programm. Der Dienstag war sendefrei, und wir nutzten den Tag für Revisionen. Alles musste live mit drei Kameras gesendet werden. Ein Fernsehspiel musste mit zwei Kameras beginnen, da die dritte Kamera für die Ansage noch verwendet wurde. Am Ende musste eine Kamera zum Abspann gefahren werden. Für das Stück "Biedermann und die Brandstifter" wurde sogar das Dekor im Bellerive in Brand gesetzt. Regisseur war Ettore Cella. Die Drehbücher wurden auf einer Art Schreibmaschine getippt, die dazu Löcher ins Papier stanzte. Danach wurden diese im Offsetverfahren vervielfältigt. Im Sommer wurde für die Kühlung auf dem Dach eine Sprinkleranlage montiert.

Die Ansagerinnen

Die Ansagetexte wurden von einem Mann geschrieben oder redigiert. Neben Heidi Abel, die mit 32 Jahren für mich schon uralt schien, war Cordelia ein richtiger Kumpel mit dem man nach Sendeschluss noch feiern konnte. Leider verunglückte Cordelia tödlich an einem Baum auf der Strecke nach Bern. Die Bäume wurden später gefällt.

Mani Weber

Nach einem Jahr wurde ich an die Ciba vermittelt. Für die Übertragungen von Operationen wurde ein Farb Ü-Wagen in den USA bestellt. Ein Projektor, das Eidophor, konnte die Bilder auf die Leinwand projizieren. Die Farben wurden mit einem Farbrad (Rot, Blau, Grün) erzeugt. Leider konnte kaum jemand Englisch, und es wurde ein Englischlehrer gesucht. Es bewarb sich ein Lehrer aus dem Mädchengymnasium, es war Mani Weber. Bald wurde er auch als Moderator in England eingesetzt. Nach zwei Jahren brachte Walter Plüss den „Mani“ zur SRG. Auch ich kehrte zum Fernsehen zurück und wurde im Übertragungswagen eingesetzt. Paul, der Chef des Wagens und sein Techniker, wechselten zum Eidophor. Nun hatte ich die Gelegenheit, nochmals zwei Jahre jeden Monat mit Mani für seine Arztsendungen durch die Schweiz zu reisen. Während wir Nomaden immer Frauenmangel hatten, blieb Mani kaum eine Nacht alleine, und zur Not konnte auch eine Serviertochter herhalten. Seine Ex bezeichnete ihn als Womanizer (Wikipedia). Als ich vor 20 Jahren Mani im Tele M1 Studio begegnete, musste ich schreiend den Raum verlassen. Aus dem Mani National war eine Ruine geworden.

1961

In der Technik kamen neue Kollegen dazu, Otto Dietrich, Günther Kaiser und Beat Zimmermann.

Die Pause

Um die Pausen zu überbrücken, wurde die Kamera vor ein Fisch-Aquarium gestellt. Leider vermehrten sich die Fische rasend schnell, und es bedurfte einer schnellen Lösung. Käufeler, der Produktionschef, löste das Problem, aber als Heidi Abel die Toilette benutzen wollte, schwammen lebende Fische darin. Heidi, die Tierfreundin, rettete alle Fische vor dem Ertrinken. Es gab im Bellerive nur eine Toilette, und diese sollten wir vor Sendebeginn auf keinen Fall benutzen.

Finanzen

Das Fernsehvermögen circa 1`000`000.- war sicher auf einer Bank deponiert. Einer aber hatte Zugang dazu. So fuhr der Buchhalter in die Stadt hob das Geld ab und kaufte sich ein Ticket vermutlich nach Bangkok. Von Kloten fuhr er nochmals in die Stadt, da er auf einer kleineren Bank noch Fr. 100`000.- vermutete. Diesmal war der Kassier aber misstrauisch und alarmierte die Direktion. Was der Mann nicht bedachte, in jeder Touristenstadt sitzt ein Schweizer mit dem Blick in der Hand, und so hätte es auch in Bangkok nicht gut geendet.

Moral

Wie war es damals 1958? Bernhard Russi musste mit seiner Michèle Rubli in den Aargau ziehen, da ihm eine Gemeinschaftswohnung verweigert wurde. In Zürich wurde ein junges Paar von der Matura ausgeschlossen, weil es angeblich Sex hatte. Schwule wurden von der Polizei verfolgt. In Zürich war 23:45 Polizeistunde. Im Kino hatten Jugendliche unter 18 keinen Zutritt. Noch mit zwanzig Jahren wurde ich nach einem Ausweis gefragt. Bücher wie «stille Tage in Clichy» oder Ulysses standen auf dem Index. Einmal stürmte die Polizei das Bellerive und verhaftete den Aufnahmeleiter. Angeblich verkaufte er Jass und Spielkarten. Das war zwar nicht strafbar, aber der Bauer, die Königin und der König waren splitternackt. Rolf Lyssy drehte im Auftrag einer Versicherung den Film „Vita-Parcours“. Am Ende des Parcours wälzte sich das Paar nackt im Laub, und es war ein Busen zu sehen. Ich wurde aufgeboten, mit dem 16mm Projektor für den Fernsehdirektor Dr. Frei den Film vorzuführen. Der Film wurde abgesetzt. Wie ich den Direktor verstanden habe: weiße, straffe Brüste sind Pornografie, aber schwarze hängende Brüste sind damals wohl als Kultur durchgegangen. Ein Buch war nie auf dem Index gelandet, weil es niemand gelesen hatte: Beautiful Losers von Leonard Cohen.

Kino

Filme waren erst ab 18 Jahren erlaubt. Ich kannte nur Bambi. Mit 16 Jahren in Paris sah ich meinen ersten Spielfilm. Es war «MonPetit» mit Horst Buchholz und Romy Schneider. Damals wurden die Filme endlos gezeigt. Ich war so hingerissen und blieb 5 Studen im Kino sitzen. 1958 konnte die SRG aber diese Filme trotz kantonalem Verbot problemlos Ausstrahlen.

Porno

Es gab eine Art Sendung wie die Arena, in der über Pornografie diskutiert wurde. Der Pornokönig Patrik Stöckli brachte es auf den Punkt: Alles, was über 40 Grad steht, sei Porno. In dieser Arena wurden auch Ausschnitte aus dem einzigen in der Schweiz hergestellten Pornofilm gezeigt. Produziert hatte den Film ein ferner Cousin von uns, der auch Betreiber des Kinos Roland an der Langstrasse war. Ich hatte zum Geburtstag eine Kassette bekommen, aber nach der Ausstrahlung in der Arena stellte ich mit Erstaunen fest, dass man mir nur die Softversion zugemutet hatte. Als ich die harte Version davon kaufen wollte, war sie schon vergriffen. In der Filmvorschau wurde ein Film "Un Homme et une Femme" gezeigt. Rolf Lyssy und ich saßen mit Ettore Cella im Café Odeon und diskutierten über diesen Film. Rolf war begeistert und meinte, genauso sei es zwischen Mann und Frau, und ich lobte die Kameraführung und war begeistert. Alles Porno, rief Ettore empört in den Saal. Für Ettore waren aber schon Brüste an sich Provokation, und er beklagte sich oft darüber, warum Männer keine Kinder gebären könnten. Auch ein Techniker an der Bellerive besaß einen 8mm Pornofilm. 1959 waren diese nur im Schwarzhandel zu bekommen. In einem Lager wurde eine Vorführung mit etwa 10 Personen organisiert. Mitten in der Aufführung platzte Bruno Lorenzetti herein und machte einen Riesenaufstand. Wir beschwerten uns bei der Direktion über sein Verhalten im Umgang mit den Kollegen. Ein halbes Jahr später wurde er zum Chef der Lehrlinge befördert, eine interessante Lösung des Problems.

Zeitenwende

Es war das Aufbegehren der Jugend 1968. Danach war die Welt nicht mehr dieselbe. In Zürich gab es die Globuskravalle, und Polizisten knüppelten rücksichtslos auf wehrlose Demonstranten ein. Demonstranten wie Passanten wurden im Keller der Polizeiwache geschlagen und gefoltert. Auch das SRG-Filmteam, welches Aufnahmen davon machte, wurden geschlagen. Vor Gericht deckten die Polizisten sich gegenseitig, und alles wurde abgestritten, doch die Freiheit, wie wir sie heute kennen, war nicht mehr aufzuhalten. Die einengenden Verbote fielen alle. Von nun an war es möglich auch nach 22 Uhr etwas zum Essen zu bestellen, und in Tanzlokalen durfte man auch nach 23.30 Uhr noch weiter tanzen. Die versteckten Jazzclubs wie etwa das der Harlem-Ramblers, wurden nicht mehr von der Polizei gestürmt. Ja, sogar das Baden außerhalb einer Badi war nun straffrei, zumindest bis zur Coronapandemie. Auch das Fernsehen konnte sich den neuen Freiheiten nicht verschließen. Plötzlich tauchten nun Frauen sogar in der Tagesschau auf. Was lange undenkbar gewesen war, Frauen konnten Sport kommentieren. Nur das Radio mit dem Bakom-Stadthalter Armin Walpen konnte noch 10 Jahre, trotz Schawinski, das Privatradio und die Rockmusik verhindern. Für seine Verdienste wurde er dann zum SRF-Generaldirektor ernannt. Popmusik war nun Teil der Jugendkultur. Auch Filme wie „Wege zum Ruhm“ konnten nun ausgestrahlt werden. Als Nachwehen folgte danach noch der Fichenskandal und die fast Armeeabschaffung. Nun hatte die Jugend die Freiheiten wie es sie in Paris, London, oder Berlin schon immer gab.

Laufgitter

Welche Sendung von 1958 ist mir geblieben? Eine Buchbesprechung „Frauen im Laufgitter“. Ich als Mann sollte Wäsche waschen und die Kinder wickeln. Als Zwanzigjähriger fühlte ich mich von dieser Sendung verraten?

Das Ende

In den sechziger Jahren wurde der alte Übertragungswagen durch einen Minicar mit nur zwei Kameras ersetzt. Irgendwann wurde eine Kamera umgestoßen und musste zur Reparatur nach England. Ich sollte den Redaktionen erklären, dass in den nächsten Wochen nur noch eine Kamera zur Verfügung stehen werde. Zwei Wochen später musste Hansruedi Züst mit dem Car in den WK einrücken. Ja, damals gab es ein Militär-Fernsehen, um die Bevölkerung aus dem Reduit mit News zu versorgen. Als nur eine Kamera ausgepackt wurde, war die Enttäuschung unter den Offizieren groß, und ich hatte es versäumt Züst davon zu unterrichten. Deswegen wurde ich als Studiochef ins neue Leutschenbach, zwangsversetzt. Oh mein Gott, außer der Kehrichtverbrennung gab es dort gar nichts. Das nächste Haus war die Firma Angst und Pfister in Örlikon. Nach sechs Jahren Nomadenleben im Car war dies nicht meine Welt. Nach nur wenigen Monaten kündigte ich diesen Job. Mit einem Camper meiner Frau, zwei kleinen Kindern und einem Pudel machten wir uns, fast zwei Jahre, auf den langen Weg von Kanada nach Brasilien.

Auch über Kurioses beim Anfang des Privatversehen gibt es viel und Unglaubliches zu berichten. Ob Eidophor, TV Niederhasli, Business TV, Rüsler TV, Tele M1 immer war ich dabei. Für mehr bitte meldet euch.